„Ein unbeschreibliches Gefühl“

Mitglieder erinnern sich an die Anfänge unserer Genossenschaft

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Mitglieder der ersten Stunde trafen sich mit MWG-Vorstandsprecher Thomas Fischbeck in der DDR-Wohnung

Besondere Einladung für besondere Menschen: Die MWG hat Mitglieder der ersten Stunde jüngst zu Tisch gebeten, um gemeinsam über alte Zeiten zu plaudern. Erich Tietböhl (79, erster Vorsitzender der AWG „Örtliche Wirtschaft“, Willfriede Bansen (88, Ehefrau von Günter Bansen, dem ersten Mitglied der AWG „Georgij Dimitroff“) und mit Alfons Golz (86, Gründungsmitglied der AWG „Karl Liebknecht“) plauderten am Frühstückstisch mit uns in der DDR-Museumswohnung. Über Gott und die Welt, über große Wünsche und Blasen an den Händen. Auszüge aus dem spannenden Gespräch können Sie hier nachlesen.

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Willfriede Bansen, Ehefrau von Günter Bansen, dem ersten Mitglied der AWG Dimitroff

Willfriede Bansen: Früher war es üblich, dass im Stadtzentrum Nachrichten über Lautsprecher verbreitet wurden. Im Frühjahr 1954 war ich zufällig mit meinem Mann Günter in der Stadt, als wir hörten, dass Betriebe Wohnungs-genossenschaften gründen können. Wir haben uns beide angeguckt und gesagt: Das ist unsere Chance. Wir hatten ja nur ein Zimmerchen bei seinen Eltern. Im Dimitroffwerk haben wir dann Kollegen mit Engelszungen für eine AWG-Mitgliedschaft überredet – wir brauchten mindestens zehn. Bei der Gründung waren wir 20.

Die AWG war die einzige Chance zu unserer Zeit eine Wohnung zu bekommen.

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Alfons Golz, Mitglied Nr. 10 der AWG „Karl Liebknecht“

Alfons Golz: Ich hatte 1949 als Blechschmied bei Buckau-Wolff, später SKL, angefangen. 1953 heiratete ich. Wir wohnten in Fermersleben, bei den Eltern meiner Ursula. Die hatten uns ihr Wohnzimmer zur Verfügung gestellt.
Ursula Golz: Die AWG „Georgij Dimitroff“, die 1954 gegründet wurde, war unsere einzige Chance, eine Wohnung zu bekommen. Wir waren 21 und 25 Jahre jung und klar wollten wir unser eigenes Reich.
Alfons Golz: Erst hieß es, die AWG baut vor dem „Palast-Theater“ in Buckau. Klappte aber nicht, stattdessen bekamen wir Grundstücke an der Leipziger Chaussee, der heutigen SKL-Siedlung. Die ersten beiden Blöcke, ich glaube Planetenweg 1-6, haben wir mit der Hand ausgeschachtet. Jeder musste seine Schippe selbst mitbringen. Ab Straße E gab‘s ein Förderband, dann einen Grabenbagger.
Willfriede Bansen: Tag und Nacht waren mein Mann und ich in Gange, um das erste Haus der Dimitroff-AWG in der Lutherstraße fertig zu bekommen.  Wir haben die Grube ausgehoben, Steine geklopft, Elektroleitungen gezogen. Jedes Wochenende, ja der Urlaub ging dafür drauf. Uns war‘s egal – trotz aller Plackerei war es eine schöne Zeit.

Die haben mit der Bierflasche gemauert. Wir haben dann einen in Uniform hingeschickt.

Frau Tietboehl_AWG Oertliche Wirtschaft
Helga Tietböhl, seit 1957 gemeinsam mit ihrem Mann Mitglied bei der MWG

Erich Tietböhl: Ich war Former in einem kleinen Handwerksbetrieb. Doch nur Großbetriebe durften AWG gründen und Häuser bauen – Leute wie ich blieben außen vor. 1955 wurde eine Gewerkschaft „Örtliche Wirtschaft“ gegründet, die sich auch um das Wohnungsproblem kümmerte. Am 28. Juni 1957 gründeten Arbeiter aus 32 Kleinbetrieben die AWG „Örtliche Wirtschaft“. Mich haben sie zu ihrem Vorsitzenden gewählt – und ich ahnte nicht, was ich mir damit aufgehalst hatte.
Helga Tietböhl: Mein Mann war kaum noch zu Hause. Das erste Haus der AWG sollte in der Moselstraße entstehen. Mein Gott, was war das für ein Drama.
Erich Tietböhl: Gebaut hat da VEB Ausbau, aber die Maurer achteten mehr aufs Bier als auf die Wasserwaage. Jedenfalls waren die Fensterstürze so schief, dass das gar nicht ging. Die sahen das aber nicht ein. Also habe ich meinen ehrenamtlichen Bauleiter, einen Volkspolizisten, gebeten, sich in Uniform auf der Baustelle mal aufzuplustern. Hat geholfen – die Firma musste zwei Etagen wieder abtragen und neu mauern. Dadurch wurden die Blöcke 3 und 4 in der Pappelallee eher fertig, obwohl wir mit denen viel später begonnen hatten.

Als wir einzogen, fühlten wir uns wie Könige.

Helga Tietböhl: Als wir 1959 einzogen, fühlte ich mich wie eine Königin. Hier war auf einmal alles meins: die Küche, das Schlafzimmer, das Bad, die Wanne, der Balkon. Das war ein unbeschreibliches Gefühl.

2014_Chronik_60 Jahre MWG
60 Jahre MWG auf 130 Seiten nachlesen

Noch mehr spannende Geschichte(n) …
… können Sie in der Chronik „60 Jahre MWG“ nachlesen, die jeder Mieter Anfang August erhalten hat. Auf 130 Seiten finden Sie darin nicht nur die Chronologie der Genossenschafts-geschichte, sondern zum Teil sehr persönliche Erinnerungen und Anekdoten von über 50 Mitgliedern.
Erfahren Sie u.a., warum die AWG in den 80er Jahren vielen Mitgliedern Wassereimer bezahlen musste, lesen Sie über eine Frau, die dutzende Nachbarn aus misslichen Situationen befreite und erfahren Sie, wie die AWG in einer Garage im Hafen hunderte Heizkörper „fand“. Gelüftet werden auch die letzten Geheimnisse der „Gefängnis“-Baustellen in Stadtfeld. Ob die Weigerung der AWG Folgen hatte, in Neu-Olvenstedt keine weiteren Wohnungen zu übernehmen, wird auf den 130 Seiten der Chronik ebenfalls erzählt.
Freuen Sie sich auf ein spannendes Stück Zeitgeschichte hier auch als Diaschau verfügbar.