100 Tage Oberbürgermeisterin

Die ersten 100 Tage im Amt sind für Magdeburgs neue Oberbürgermeisterin vorbei. Simone Borris über erste Erfahrungen, den Stadtumbau in Zeiten der Krise und die Rolle der MWG bei der Stadtentwicklung:

Seit Ihrem Dienstantritt im Juli haben Sie mit Krisen zu tun. Welche sozialen und wirtschaftlichen Zerwürfnisse sehen Sie angesichts anhaltender Migration, galoppierender Energiepreise und Inflation?Simone Borris: Durch das gute Energiemanagement mit den Städtischen Werken sehe ich uns gut aufgestellt. Da zehntausende Mietwohnungen über preiswerte Fernwäre aus dem Müllheizkraftwerk versorgt werden, ist die Lage weniger prekär als andernorts. Gleichwohl sind die Energiepreise für viele Menschen ein Problem. Als Stadt selbst haben wir kurzfristige Maßnahmen ergriffen, um Energie zu sparen. So ist die Schließzeit über die Feiertage bis zum 9. Januar verlängert worden, wir ermöglichen mehr Homeoffice und senken punktuell die Temperaturen. Einrichtungen wie Stadtbibliothek, Schwimm- und Turnhallen sollen generell nicht geschlossen werden. Eventuell müssen wir aber die Öffnungszeiten reduzieren. Die Schwimm- und Turnhallen bleiben an den Feiertagen aber geöffnet. Nach den schweren Corona-Jahren will ich nicht schon wieder Einschränkungen erleben.

Unlängst haben Sie von 70 bis 80 neuen Flüchtlingen gesprochen, die monatlich in Magdeburg untergebracht werden müssen. Wie lange ist das noch durchzuhalten? Simone Borris: Die Lage ist sehr angespannt. Das haben wir als Städte- und Gemeindetag gemeinsam mit umliegenden Gemeinden klar gemacht. Magdeburg hat 4.400 Ukrainer in Wohnungen untergebracht. Wohnraum in diesem Segment ist nun sehr knapp – die Nutzung von Turnhallen möchte ich vermeiden, um dem Schul- und Vereinssport nicht zu schaden.

Vermieter, auch die MWG, schieben angesichts der Risiken Projekte auf. Besteht die Gefahr, dass die Stadtentwicklung in eine lange Pause geht? Simone Borris: Ich sehe die Probleme und auch eine Auftragsdelle in der Baubranche, einen jahrzehntelangen Stillstand aber nicht. Wir als Stadt werden Stadthalle, Hyparschale, Tunnel, Strombrücke und andere Verkehrsprojekte durchziehen. Es gibt weitere teils noch nicht durchfinanzierte Projekte, u. a. die IGS am Uniplatz, den Nord-Süd-Verbinder der MVB, die wir realisieren wollen. Auch mein Wahlkampfthema eines Bürgerstadthauses in der Innenstadt werde ich nicht aufgeben. Dort sollen Stadtbibliothek, Volkshochschule und weitere Angebote für die Bürger einziehen, um einen Ort der Bildung, der Kultur und der Dienstleistungen zu entwickeln.

Noch setzen viele auf eine Intel-Sogwirkung, fürchten andererseits aber einen Rückzug in letzter Minute. Baupreise oder die Ablehnung der EU für die vorzeitige Fördermittelfreigabe sorgen für Unsicherheit. Zu Recht? Simone Borris: Es gibt keinerlei Signale, dass Intel sich zurückzieht.

Hand aufs Herz: Für wie realistisch halten Sie noch Projekte wie Neustädter Bahnhof, alte Bezirksparteischule, Prämonstratenserberg, Umbau des Logenhauses zur Oper oder den Hochhausbau in Stadtfeld? Simone Borris: Die privaten Investoren habe ich als große Optimisten kennengelernt. Die Oper wird für die Wobau wohl eine Nummer zu groß und auch der Prämonstratenserberg ist aktuell eher unrealistisch.

Empfehlen Sie Wobau oder MWG aktuell weiter an Projekten zu arbeiten oder sehen Sie eher Stillstand?Simone Borris: Jedem Tief folgt ein Hoch. So ist Intel für Magdeburg Herausforderung und enorme Chance. Mehr Menschen werden Teil der Stadtgesellschaft. Für unterschiedliche Ansprüche an Wohnen muss es in allen Preissegmenten Angebote geben. Wobau und die Genossenschaften müssen dafür sorgen, dass für alle Einkommensgruppen attraktiver Wohnraum zur Verfügung steht.

Welche Rolle sollte die MWG bei der Stadtentwicklung übernehmen? Simone Borris: Ich würde es begrüßen, wenn die MWG ein sozial engagierter Partner bleibt, der nicht nur Wohnungen anbietet, sondern auch in bewährter Weise dafür sorgt, dass Gemeinschaft, Solidarität und Begegnung in der Nachbarschaft gelebt werden können.

Interview aus „loggia“, Magazin der MWG, 3. Ausgabe 2022

Foto: Oberbürgermeisterin Simone Borris und Thomas Fischbeck, Sprecher des MWG-Vorstands, auf dem Dach des Luisencarrés.