„Das ist eine Jahrhundertchance“

Als größte Genossenschaft Sachsen-Anhalts steht die MWG auch häufig im öffentlichen Fokus. Die Volksstimme veröffentlichte am 21. Juni 2018 auf Seite 3 ein ganzseitiges Interview mit unserem Vorstandssprecher Thomas Fischbeck.

Volksstimme: Herr Fischbeck, Ihr Unternehmen legt viel Wert auf abwechslungsreiche Fassaden. Sie trauen sich sogar an Türme und Hochhäuser. Woher kommt dieser Geist?
Thomas Fischbeck: Wir wollen zeigen, dass auch eine Genossenschaft zusammen mit einheimischen Architekten und Baufirmen in der Spitze mitspielen kann. Daher rührt unser Bestreben, sich wohltuend vom manchmal etwas eintönigen Baustil der letzten Jahre abzuheben und stattdessen Markantes zu zeigen. Die MWG soll als starke Genossenschaft in der Stadt sofort erkennbar sein. Daher muss es Aufgabe eines Vorstandes sein, nach Alleinstellungsmerkmalen zu suchen. Und noch eines ist mir wichtig: In den vergangenen Jahren haben wir uns dafür mit einer tollen Mannschaft das wirtschaftliche Fundament hart erarbeitet.

Warum dominiert bei modernen Bauten die Langeweile?
Oft stecken Geldgeber ohne Magdeburger DNA dahinter. Die haben dann keinen Bezug zur Stadt, ihnen geht es in erster Linie um Rendite. Eine Stadt braucht aber viele Bauherren mit Herzblut – die möglichst mit Magdeburger Architekten und Unternehmen arbeiten.

Am neuen Domviertel bauen Sie ein Hochhaus und an der Elbe-Schwimmhalle planen Sie mit dem 60 Meter hohen Luisenturm sogar einen richtigen Riesen (Visualisierung oben). Das gefällt nicht allen. Wie haben Sie die Skeptiker überzeugt?
Schauen Sie sich die Silhouette des alten Magdeburgs auf Bildern an: Ein Dutzend Kirchtürme. Die meisten sind verloren gegangen. Doch hohe Bauten gehören in eine Stadt; sie beleben und sie geben Bewohnern wie Besuchern Orientierung. Woran sollen sich Passanten halten, wenn sie – abgesehen vom Dom oder dem Katharinenturm – eine Innenstadt vorfinden, die kaum etwas an Höhe zu bieten hat?
Daher haben wir uns beim neuen Domviertel am Breiten Weg gesagt: An solch prominenter Stelle können wir vielleicht einmal in 100 Jahren bauen, also müssen wir alle Register ziehen. Wenn Leute in die Innenstadt gelockt werden sollen, dann müssen sie etwas Interessantes entdecken können. Daher drehen wir auch das Eck-Hochhaus leicht in den Breiten Weg hinein, damit es schon von weitem zu sehen ist. Wir wollen den Leuten Lust machen, weiter in Richtung Domplatz und Hasselbachplatz zu flanieren.  Das geht aber nur dann auf, wenn man sich markant zeigt.
Die Diskussionen mit der Stadt dauerten sehr lange. Am Ende stand als Kompromiss ein Elfgeschosser – ich hätte gern noch höher gebaut, akzeptiere aber, dass dies in unmittelbarer Domnähe störend wirken könnte.

Magdeburg hat viel Altes verloren, um so trauriger ist es, dass Gründerzeithäuser verfallen oder abgerissen werden. Warum retten sie nicht die eine oder andere Perle?
Wir haben das an einigen Stellen ja gemacht. Aber: Die Sanierungskosten sind immens hoch. Ich sage nur: Denkmalschutz, Brandschutz, Energieeinsparverordnung, Statik bis hin zur barrierefreien Erschließung und so weiter und so fort. Wir haben Flächen in guten Lagen erworben und bauen dort lieber neu. Glauben Sie mir: Wir wirken gerne an der Stadtentwicklung mit, aber ich habe die Interessen unserer fast 13 000 Mitglieder zu vertreten, denen fühlen wir uns zu allererst verpflichtet.

Aber als große Genossenschaft können Sie doch mehr Risiken tragen als ein kleiner Privater.
Auch eine große Genossenschaft hat Grenzen. Für ein nachhaltig saniertes Gründerzeithaus muss man aus heutiger Sicht 10 bis 12 Euro Kaltmiete je Quadratmeter erzielen, damit es wirtschaftlich ist. Das mag an der einen oder anderen Stelle funktionieren, doch ich hätte so meine Sorgen, ob man solch eine Miete rings um den Hasselbachplatz auf Dauer und sicher erzielen kann.

Also sind die einst prachtvollen Häuser verloren?
Wenn wir sie retten wollen, müssten Anreize geschaffen werden. Ich meine damit nicht unbedingt nur mehr Geld, sondern mit weniger Vorgaben und Anforderungen. Dazu müsste sich der Gesetzgeber mit Bau- und Wohnungsunternehmen zusammensetzen und überlegen, wie man die vielfältigen Bauvorschriften vereinfachen und reduzieren könnte, um mit den Kosten runter zu kommen.
Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Versuche, den Dschungel zu lichten, doch ohne durchgreifenden Erfolg. Im Gegenteil: Es werden immer mehr Regelungen erlassen, die das Bauen stets teurer und komplizierter machen. Schauen Sie: Seit 2009 sind nach Recherchen des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen 40 teils sehr umfangreiche Bauvorschriften neu hinzugekommen, die man als Bauherr zu beachten hat. Diese verursachen zusätzliche Kosten von 10,2 Milliarden Euro für den Geschosswohnungsbau in Deutschland.
Ich sage allen: Das ist eine Riesenchance für die Stadt, den kulturellen Faden aus den 20er Jahren wieder aufzunehmen. 1927 zur Theaterausstellung entstanden Stadthalle und Albinmüller-Turm. Der Rotehornpark beginnt ja ohnehin erst südlich davon und bliebe in jedem Fall unangetastet. Das Areal auf der nördlichen Elbseite ist in seinem heutigen Zustand  einer Landeshauptstadt nicht würdig. Schon Bruno Taut sah dort in den 20er Jahren mehrgeschossige Bebauung vor. Zu recht. Aus meiner Sicht kann man in Magdeburg nicht schöner wohnen: Blick auf Elbe, Dom, Altstadt und abends den Sonnenuntergang.

Sie haben erste Pläne vorgelegt: Haben Sie sich an Taut orientiert?
Zum Teil. Wir sehen als eine Idee einen hufeisenförmigen Block, ähnlich wie ihn Taut für die Hufeisensiedlung in Berlin entworfen hat. Dann folgt eine lockere Bebauung mit Wohnungen, Kita, Gastronomie, vielleicht auch einer Schule und einem Radfahrer-Hotel. Auch für die reifere Generation muss es Angebote geben, denn ich halte es für eine Todsünde, Senioren in Randsiedlungen zu verbannen. Außerdem gibt es die Idee für eine Fußgängerbrücke hinüber zur Altstadt. Aber wir sind noch überhaupt nicht festgelegt und offen für gute Ideen.
Gemeinsam mit der Wobau bereiten wir gerade einen Ideenwettbewerb mit Magdeburger und überregionalen Architekten vor. Und wer weiß, vielleicht kommt ja Tauts alte Ideenplanung wieder auf den Tisch, die eine nahezu geschlossene Wasserfront zur Elbseite zeigte. Für mich sind gerade diese Ideen sehr interessant und aktuell.

Gegner werfen Ihnen vor, das würde ein Reichenviertel.
Uns schwebt weder eine Elbchaussee noch ein Elbbahnhof vor. Tatsache ist doch, dass es in Magdeburg keinen Mangel an bezahlbarem Wohnraum gibt. Alleine 37 Prozent unserer Wohnungen liegen beim Mietpreis unter 5 Euro pro Quadratmeter, weitere 38 Prozent zwischen 5 und 5,50 Euro. Natürlich werden die etwa 150 Wohnungen, die die MWG baut, in so einer Top-Lage wie auf dem Werder teurer sein. Aber wir wollen auch einen Teil der Wohnungen günstiger anbieten.

Was heißt das?
Das wären aus heutiger Sicht 8 bis 9 Euro Kaltmiete je Quadratmeter. Beim größten Teil der Wohnungen reden wir von mindestens 10 Euro. Aber für diese Lage ist das kein überzogener Preis. Zudem: Es gibt immer mehr Menschen, die bereit sind, für sehr gut ausgestattete Neubauwohnungen in besten Lagen auch mehr zu bezahlen. Wenn wir ihnen kein Angebot machen, tun es andere. Da bin ich mir sicher!

Bleiben denn da noch Mittel für die „normalen“ Quartiere?
Wir verfolgen seit vielen Jahren zwei Linien: Mehr als die Hälfte unserer Investitionsmittel geht grundsätzlich in den Bestand. Auch, weil wir es unseren oft langjährigen treuen Mitgliedern schuldig sind. Die verbleibenden Mittel stehen dem Neubau zur Verfügung. Darüber hinaus haben wir seit 2009 die MWG-Spareinrichtung, wo jedes Mitglied Geld anlegen kann. Die Sparer haben uns auf über 6700 Konten bereits 86 Millionen Euro anvertraut. Manche Anleger interessieren sich dann sogar gleich für eine Wohnung. Was kann es für einen Vermieter Schöneres geben?

Wie geht es mit der Platte weiter?
Was heißt hier Platte? Wir haben unsere Bestände in den letzten 20 Jahren so modernisiert und saniert, dass man es ihnen oft erst auf den zweiten Blick ansieht. Denn der gestalterische Anspruch der MWG greift nicht nur im Neubau, sondern auch in den Bestandsquartieren. Wir legen größten Wert auf Qualität und Unverwechselbarkeit, denn zwei Drittel unseres Bestandes sind Mehrgeschoss-Bauten. Sie sind und bleiben das Rückgrat unserer Genossenschaft.
Ersatzloser Abriss war für uns ohnehin kaum ein Thema. Das war auch gut so, denn heute haben wir wieder jüngere Familien, die sich für die preisgünstigen Vielgeschosser interessieren. Nach der Wende gab es ja zunächst einen großen Bedarf an kleineren Wohnungen, jetzt ist wieder mehr Fläche gefragt.

Visualisierung: Sattler+Täger Architekten GmbH